Bad Homburg. Die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Stadt Bad Homburg v. d. Höhe feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass lädt die Beratungsstelle zu einer Jubiläumsfeier mit Fachvortrag ein.
Vorgeschichte
Die Beratungsstelle bietet neben der Beratung bei Trennung und Scheidung hauptsächlich die sogenannte Erziehungsberatung an. Dieser Begriff datiert aus den 1920er Jahren, in Deutschland insgesamt blickt man heute also schon auf eine etwa hundertjährige Geschichte der Erziehungsberatung zurück. Der Magistrat der Stadt Bad Homburg v. d. Höhe beschloss im November 1971 die Einrichtung einer eigenen Beratungsstelle, um die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger der Stadt sicherzustellen. Zu dieser Zeit war eine Beratungsstelle im Kreis bereits vorhanden, diese war jedoch überlastet und es sollte „eine funktionelle Erziehungsberatung in größtem Umfang sowohl für Kinder und Jugendliche, als auch für Eltern wirksamer als bisher“ eingerichtet werden.
„In der gesamten Bundesrepublik erlebte die Erziehungsberatung zwischen Anfang der 1950er und Ende der 1970er Jahre den stärksten Ausbau“, erklärt Stadträtin Lucia Lewalter-Schoor. Dies war als Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen zu verstehen: Eltern und Kinder waren im Nachgang des Zweiten Weltkrieges enormen Belastungen und Brüchen ausgesetzt. Die sogenannten Kriegskinder wurden als Eltern oft erneut mit Traumata konfrontiert, die sie als Kinder erlebt hatten. Auch der Wiederaufbau und die Modernisierung der Gesellschaft führten zu Unsicherheiten, Orientierungslosigkeit und einem steigenden Bedarf an Beratung.
Geschichte der Beratungsstelle Bad Homburg
1973 war es soweit und die Beratungsstelle nahm mit vier vollen Stellen für Fachkräfte sowie ein Sekretariat ihre Arbeit auf. Anfang der 70er Jahre kamen die Eltern noch mit anderen Erwartungen als heute – sie gingen davon aus, sie könnten ihr Kind quasi zur „Reparatur“ abgeben. Auch die Fachkräfte waren seinerzeit eher medizinisch orientiert: Im ersten Schritt stellten Psycholog*innen eine Diagnose, worauf dann eine Spieltherapie durch Sozialpädagog*innen mit den Kindern folgte.
Im Lauf der 1970er Jahre entwickelten die Therapieverfahren in Deutschland sich deutlich weiter, so z. B. die Gesprächstherapie und die Verhaltenstherapie. 1978 gab es bereits sechs Mitarbeitende, außerdem drei Nebenamtliche. Das Thema, das die Arbeit in dieser Zeit bestimmte, war die minimale cerebrale Dysfunktion. Diese Diagnose wird heute kaum noch gestellt und die Symptome werden heute weitgehend der ADHS zugeordnet. 183 Kinder der Stadt profitierten von der Arbeit der Beratungsstelle.
1983 vernetzten die Kolleginnen und Kollegen sich zunehmend auch im Sozialraum. Sie nahmen an Arbeitskreisen teil, die praxisbezogen waren. Es zeigten sich die Anfänge der sogenannten familientherapeutischen Wende, einer wichtigen Entwicklung im fachlichen Feld. Statt auf die einzelne Person zu schauen, richtete sich der Blick nun auf das ganze System, also auf die Familie und das Umfeld der Person. Das führte zu großen Veränderungen in der Beratungsarbeit, da nun davon ausgegangen wurde, dass ein Symptom wie z.B. eine Angststörung im Rahmen des Familiensystems einen Sinn machte. Es wurden also nicht mehr einzelne Kinder eingeladen und diagnostiziert, sondern die Familie mit einbezogen. Dadurch kamen auch andere Lösungsmöglichkeiten für Probleme in den Blick, also was möglicherweise die Familie oder andere Personen im Umfeld beitragen könnten. Die Suche nach familiären Ressourcen und Fähigkeiten wurde ein wichtiger Faktor. Im Jahr 1983 gab es 209 Fälle.
Aufgrund dieser Entwicklung hin zu einem systemischen Blick weist die Statistik der Beratungsstelle für 1988 aus, dass die einzeltherapeutischen Prozesse abnahmen. Die Fallzahlen stiegen auf 238. Das familientherapeutisch-systemische Arbeiten hatte sich in der Beratungsstelle etabliert und ist heute der fachliche Bezugsrahmen der Arbeit.
1993 beschäftigte man sich thematisch unter anderem intensiv mit Geschlechterrollen und sexuellem Missbrauch. Die bearbeiteten Fälle hatten sich innerhalb von fünf Jahren auf 455 nahezu verdoppelt. Auf Bundesebene war der Erlass des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), das zum 1. Januar 1991 als Sozialgesetzbuch VIII in Kraft trat, ein Meilenstein der Erziehungsberatung. Hier wurden die heute noch gültigen Grundlagen für die institutionelle Erziehungsberatung geschaffen, die auch für die städtische Beratungsstelle gelten. Die Erziehungsberatung wurde als öffentlicher Auftrag und als „Hilfe zur Erziehung“ in den Kontext der übrigen Jugendhilfe integriert.
1998 fand der Umzug in die heutigen Räume in der Schönen Aussicht 22 statt. „Es ist heute kaum zu glauben, dass es in diesem Jahr lediglich einen PC in der ganzen Beratungsstelle gab“, so die Leiterin der Beratungsstelle Kristina Blatt. Dieser stand im Sekretariat, in dem zwei Kolleginnen ihn sich teilten. Die Fachkräfte arbeiteten noch gänzlich analog und bearbeiteten 366 Fälle. Auch wurde in diesem Jahr das 25-jährige Bestehen der Beratungsstelle mit einem schönen Festakt im Hof und den Räumen der Schönen Aussicht 22 gefeiert. Geladen waren Gäste aus Fachkreisen und der Politik.
2003 gab es keine freien Mitarbeitenden mehr, die Mittel waren nicht mehr vorhanden. Im Sekretariat arbeiteten zwei Verwaltungskräfte auf einer Vollzeitstelle, es gab zwei Psycholog*innen, zwei Pädagog*innen und eine Sozialarbeiterin. Mit der Verabschiedung einer Mitarbeiterin in die Rente wurde eine halbe Pädagogen-Stelle gestrichen, so dass die Beratungsstelle ab dem Zeitpunkt nur noch über 3,5 Stellen verfügte. Das Themenfeld Trennung und Scheidung nahm immer mehr Raum ein und die Fachkräfte begleiteten 369 Fälle.
2008 hatte das Themenfeld Trennung und Scheidung weiter an Bedeutung gewonnen. In dem Zusammenhang wurde ein Konzept für begleiteten Umgang erarbeitet, der seitdem kontinuierlich angeboten wird.
2013 übernahm das Fachteam der Beratungsstelle dauerhaft das Themengebiet „Beratung von Eltern in Trennung und Scheidung“ (§17 SGB VIII) vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) der Stadt. In den Folgejahren entwickelte das Fachteam gemeinsam mit Experten im Rahmen von Teamfortbildungen ein Konzept zur konfliktregulierenden Beratung, das immer wieder in der Praxis erprobt und überarbeitet wurde. Wichtiger Bestandteil dieses Konzeptes, das die Beratungsstelle bis heute mit guten Rückmeldungen aus Fachkreisen anwenden, ist es, die betroffenen Kinder einzuladen und deren Sicht der Dinge zu erfahren. Dadurch soll sichergestellt sein, dass wir mit den Eltern Vereinbarungen erarbeiten, die zu den Bedürfnissen der Kinder passen.
2018 konnten schon die gleichen Kolleginnen in der Beratungsstelle vorgefunden werden, die auch heute noch hier arbeiten. Im Vorfeld der Pandemie stiegen die Fallzahlen in den 2010er Jahren kontinuierlich an und befanden sich 2018 auf dem Höchststand von 541 Fällen. Das Durchschnittsalter der beratenen Kinder lag bei 8,7 Jahren.
Die Beratungsstelle heute
2023 feiert die Beratungsstelle nun ihr 50-jähriges Bestehen. „Unser Profil zeichnet sich besonders dadurch aus, dass wir über viel Knowhow verfügen, wie wir Kinder auf eine kindgerechte Art in die Familienberatung einbinden können und wir tun dies regelhaft. Wir arbeiten vertrauensvoll mit unseren Kooperationspartnern zusammen: den Familienrichter*innen, Kinderärztinnen, Fachkräften aus Kitas und Schule, dem ASD, dem Frauenhaus und anderen. Wir bieten auch Beratung an anderen Orten an, um Familien dort zu erreichen, wo sie sind. Wir haben viel Expertise in der Beratung nach Trennung/Scheidung. Wir bieten in Zusammenarbeit mit Grundschulen und der Spielstube Kindergruppen an“, erklärt Kristina Blatt.
Ein Blick auf die Statistik zeigt aktuell folgendes Bild: Die Fallzahlen sind nach einer Talsohle im Jahr 2021 im Jahr 2022 wieder auf 464 gestiegen. Durch die Pandemie hat sich die Arbeit geändert: Die meisten Kinder und Jugendlichen, die von der Beratung profitieren, sind nun nicht mehr 6 bis 9 Jahre alt, sondern 9 bis 12 Jahre. Seit 2019 melden sich kontinuierlich mehr Jugendliche an und das Durchschnittsalter liegt nun bei 9,6 Jahren. Dabei ist bei den Anmeldungen ein Anstieg von emotionalen Problemen und Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen festzustellen. Junge Menschen mit einer solchen Symptomatik machen fast ein Viertel der Anmeldungen aus.
Die Pandemie und auch der Krieg in der Ukraine haben nach Einschätzung der Kolleginnen hier Auswirkungen. Jugendliche thematisieren oft, dass sie sich sozial unsicher fühlen. Sie ziehen sich - zur Sorge ihrer Eltern - in digitale Welten zurück und haben Angst, in die Schule zu gehen. Das führt man in der Beratungsstelle unter anderem auch auf die langen Phasen des digitalen Schulunterrichts zurück, in denen Jugendliche von der Interaktion mit Gleichaltrigen abgeschnitten waren.
Blatt: „Leider war der Zugang zu kinder- und jugendtherapeutischen Angeboten schon vor der Pandemie nicht ausreichend. Jetzt wird die fehlende Versorgung noch problematischer. Wir unterstützen im Rahmen unserer Möglichkeiten Kinder und Jugendliche mit solchen Anliegen. Dabei beziehen wir, soweit möglich, die Familien mit ein und aktivieren familiäre Ressourcen durch unsere familientherapeutische Arbeitsweise. Dadurch können wir Beratungsprozesse kürzer halten als wenn wir mit Einzelnen arbeiten würden. Dennoch stoßen wir hier an die Grenzen unserer Kapazität.“
Die Statistik zeigt auch, dass die Kolleginnen und Kollegen des Allgemeinen Sozialen Dienstes fast doppelt so viele Klientinnen und Klienten an die Beratungsstelle übermittelten, als das vor der Pandemie der Fall war. Aus Sicht des Fachpersonals liegt dies zum einen an der bereits erwähnten Überlastung des Gesundheitssystems, d. h. die Kolleginnen können Klientinnen und Klienten nicht an niedergelassene Kinder- und Jugendpsychotherapeuten überweisen und auch die Kinder- und Jugendpsychiatrien haben lange Wartezeiten.
„Erfreulicherweise haben sich im Jahr 2022 die Vermittlungen aus Kindergarten und Schule wieder fast an das Niveau vor der Pandemie angeglichen, worüber wir sehr froh sind – durch die Lockdowns schienen an dieser Schnittstelle Kinder verloren zu gehen, weil sie Erzieherinnen und Lehrerinnen aus dem Blick geraten waren“, so Blatt weiter. Die Möglichkeit zur Beratung per Video wird angeboten, aber kaum noch genutzt. In diesem Tätigkeitsfeld bewährt sich der persönliche Kontakt.
Wie auch schon in den Jahren zuvor beträgt der Anteil der Beratungen, die mit dem Themenfeld Trennung und Scheidung in Zusammenhang stehen, mehr als ein Viertel (28,66%). Es ist davon auszugehen, dass sich dies weiterhin so entwickelt. Dabei nimmt die Komplexität der Familienformen zu. Die getrennten Partner gehen neue Beziehungen ein und das bedeutet für die beteiligten Kinder, dass sie Stiefelternteile und Stief- und ggf. Halbgeschwister bekommen. Es entstehen neue Konflikte und Fragestellungen, die an die Beratungsstelle herangetragen werden. Daher überprüft und verbessert man in der Beratungsstelle stetig das Konzept der konfliktregulierenden Beratung.